Artikel im Tagesspiegel 26.01.17 von Ulrike Scheffer

Ungewöhnliches Schüler-Projekt in Weißensee

 

Die Heinz-Brandt-Schule in Weißensee und der Pankower Wirtschaftskreis bieten engagierten Schülern die Chance auf ein zusätzliches Taschengeld. Dafür müssen sie sich in einem wirtschaftsnahen Auswahlverfahren bewähren.

 

Schulleiterin Miriam Pech und Reinhard Garske vom Pankower Wirschaftskreis.

 

Jamie Lee, Johanna, Midori und Samantha stehen im Treppenhaus und tuscheln angeregt. Auf den ersten Blick unterscheiden sich die vier Mädchen kaum von ihren 440 Mitschülern an der Heinz-Brandt-Schule in Weißensee. Sie sind zwischen 13 und 15 Jahre alt, tragen Jeans und Pullover oder Bluse, Jamie Lee ein Basecap. Doch während draußen auf dem etwas tristen Hof der Schule gerade lautes Pausengelächter zu hören ist, steht die kleine Gruppe mitten in einem Wettbewerb. 

 

Denn ihre Schulleiterin Miriam Pech hat mit Unterstützung des Pankower Wirtschaftskreises ein ungewöhnliches Projekt auf die Beine gestellt. Zwölf Schüler, die sich in der Schule und darüber hinaus besonders engagieren, haben die Chance, in den kommenden Monaten ein zusätzliches Taschengeld von bis zu 50 Euro zu erhalten. Finanziert wird das von Pankower Unternehmen. 

 

32 von ihren Mitschülern für dieses Stipendium nominierte Bewerber mussten sich am Mittwoch jedoch zunächst in einem Auswahlverfahren bewähren. Miriam Pech will so einsatzbereite Schüler belohnen und die Jugendlichen zugleich an die Arbeitswelt heranführen. Wie in einem richtigen Bewerbungsverfahren müssen sich die Schüler mehreren Tests stellen. Juroren vom Pankower Wirtschaftskreis beurteilen unter anderem ihre Teamfähigkeit und ihre Kreativität. 

 

Jamie Lee, Johanna, Midori und Samantha gehen als Team in des Auswahlverfahren. Um den Hals tragen sie professionell aussehende Namensschilder aus Plastik. Kurz vor der Mittagspause sollen sie ein Bewerbungsgespräch simulieren. „Die Aufgaben sind sehr konkret, nicht abstrakt wie vieles, was wir im Unterricht behandeln“, sagt Jamie Lee nach der Runde. „Man sieht, wo man steht“, ergänzt Midori. Alle vier finden es sehr lehrreich, mit Vertretern aus der Wirtschaft zusammenzukommen. „Viel wissen wir ja nicht über die Berufswelt.“

Direkter Kontakt: Daniel Krämer im Gespräch mit Schülern.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Direkter Kontakt: Daniel Krämer im Gespräch mit Schülern.
 

Schulleiterin Miriam Pech sagt, viele Jugendliche könnten gerade einmal eine Handvoll Berufe aufzählen. „Viele wollen dann Erzieher oder Makler werden, weil sie gar nichts anderes kennen.“ Oder sie blieben einfach weiter auf der Schule, weil das bequemer sei, als sich um eine Ausbildungsstelle zu kümmern. Rund 60 Prozent ihrer Schüler, so erklärt Pech, wollten Abitur machen. „Dabei gibt es doch so viele spannende Ausbildungsberufe, und Facharbeiter werden ja auch händeringend gesucht.“ 

 

Den Beruf von Daniel Krämer, einem der ehrenamtlichen Juroren beim Auswahlverfahren, hat wohl tatsächlich kaum ein Schüler auf dem Schirm. Krämer ist selbstständiger Schädlingsbekämpfer. „Wer das hört, rümpft vielleicht zunächst die Nase“, sagt Krämer, bevor er der Mädchengruppe um Jamie Lee das Rollenspiel für das Bewerbungsgespräch erklärt und ihnen die Zeitvorgaben bekannt gibt. Dass er als Schädlingsbekämpfer auch Unternehmen und Hotels berate, Vorträge halte und in eigenen Terrarien sogar Forschung betreibe, sei kaum bekannt. „Das weckt dann aber oftmals Interesse.“ Inzwischen absolviere ein Schüler der Heinz-Brandt-Schule ein Praktikum bei ihm, sagt Krämer. „Vielleicht bleibt er nicht der Einzige.“ 

 

Softskills statt Schulnoten

Für die beteiligten Unternehmen und die Juroren vom Wirtschaftskreis ist der direkte Kontakt zu Jugendlichen ein wichtiger Grund, sich an dem Projekt zu beteiligen. „Wir wollen den jungen Leuten einen realistischen Eindruck vom Leben nach der Schule vermitteln und sie für das Arbeitsleben begeistern“, sagt Reinhard Garske vom Wirtschaftskreis. Und er macht klar: Schulnoten seien für Unternehmen längst nicht mehr das wichtigste Kriterium bei der Auswahl neuer Mitarbeiter. „Viel wichtiger ist, ob jemand Ideen einbringt und sich engagiert.“

 

Um solche so genannten Softskills geht auch beim Auswahlverfahren für das Schülerstipendium. Für die vier Mädchen läuft die Zeit für das simulierte Bewerbungsgespräch: Neun Minuten Vorbereitung, vier Minuten für das Rollenspiel. Schnell haben sie sich geeinigt, wer die Personalchefin spielen soll, wer den Ausbildungsleiter, die Unternehmens-Chefin und schließlich die Bewerberin darstellen soll. Auch bei der Formulierung von Fragen arbeiten sie gut zusammen und greifen die wichtigsten Punkte auf. Das Bewerbungsgespräch selbst ist dann allerdings schon nach eineinhalb Minuten beendet. „Da ist noch Luft nach oben“, urteilt Juror Daniel Krämer. 

 

Insgesamt sind die Wirtschaftsvertreter von den Schülern der Heinz-Brandt-Schule aber sehr angetan. „Ich habe hier sehr viele mutige und aufgeschlossene Jugendliche kennengelernt. Das stimmt zuversichtlich“, sagt Reinhard Garske, bevor er gemeinsam mit den Schüler zum Mittagessen geht. 

 

Das Essen für die Teilnehmer des Auswahlverfahrens hat der Schülerclub vorbereitet. Die Einnahmen fließen in ein weiteres Projekt der Schule: Das Projekt Herausforderung – Westeuropa erlaufen – Wandern auf dem Jacobsweg