11.07.2015 Berliner Morgenpost

Von Regina Köhler 

 

Für 19 Jugendliche einer Sekundarschule geht es auf Rädern an die Ostsee. Auf der Tour gilt es, so manche Herausforderung zu meistern.

 

Ömer ist aufgeregt. Es ist seine erste Radtour und dann soll es auch noch bis an die Ostsee gehen. Dort ist er noch nie gewesen. „Ich habe nur Angst, dass ich mich verletze und dann vielleicht aufgeben muss“, sagt der 15-Jährige.

 

Ömer ist nicht allein unterwegs. Mit ihm fahren zwölf Jungen und sieben Mädchen aus seiner Schule, der Georg-Weerth-Sekundarschule in Friedrichshain, begleitet von vier Erwachsenen. „Herausforderung“ heißt das Projekt, das eine Woche dauern soll.

 

Für die Teilnahme mussten sich die Schüler mit einem Motivationsschreiben bewerben. Ömer hat geschrieben, dass er wissen möchte, ob er es schafft, so weit mit dem Rad zu fahren und sich unterwegs selbst um alles zu kümmern, um den Einkauf zum Beispiel, „aber auch um die jüngeren Schüler, die mitfahren“.

 

Die Mutter hat Angst

Ömer glaubt, dass es unterwegs zu Streitigkeiten kommen könnte. „Einige, die mitfahren, können sich nicht leiden, das könnte Schwierigkeiten machen“, sagt er. Philia, 13, macht sich da weniger Sorgen. „Wir sind eine gute Truppe“, sagt sie. Ihr Vater, Chris Wohlrab, findet es „super“, dass Philia mit an die Ostsee fahren kann. „Sie wird erfahren, wie es ist, für sich selbst, aber auch für die Gruppe verantwortlich zu sein“, sagt er. Sorgen mache er sich nicht. „Ich bin sicher, dass sie es schafft.“

 

Anders geht es da Ömers Mutter. Sie war von Anfang an gegen diese Reise. „Sie hat Angst, dass mir unterwegs etwas passieren könnte“, sagt Ömer. Sein Vater und seine älteren Geschwister seien aber überzeugt davon, dass er klarkommt. „Sie haben zugestimmt.“ Doch Ömer kann seine Mutter auch verstehen. „Ich habe ihr versprochen, möglichst jeden Abend anzurufen. Das hat sie etwas beruhigt.“

 

Projekt „Herausforderung“

An der Georg-Weerth-Schule findet das erste Mal eine „Herausforderung“ statt. Organisiert haben das Projekt Vera Plümer und Chrisoph Trautvetter, beide sind für ein Jahr als Fellows an der Schule tätig, von Teach First Deutschland vermittelt. Die Organisation bringt Hochschulabsolventen für zwei Jahre an Schulen, an denen sie soziale Erfahrungen sammeln können, bevor sie in ihr Berufsleben starten.

 

„Wir haben uns an den Erfahrungen der Pankower Heinz-Brandt-Sekundarschule orientiert“, sagt Vera Plümer. Die Pankower sind bereits seit drei Jahren auf Herausforderungstouren unterwegs – mehrere Gruppen sind über die Alpen gewandert, andere mit dem Rad bis Paris gefahren oder mit dem Longboard an die Ostsee.

 

An der Georg-Weerth-Schule ist das Projekt gut angekommen. Viele Schüler wollten mitmachen. Plümer und Trautvetter haben sich ihre Motivationsschreiben genau angeschaut und „die ausgewählt, die besonders an dieser Herausforderung wachsen können“. Auch Schüler, die sich in diesem Schuljahr sehr angestrengt haben, sind dabei.

 

Konflikte überwinden, im Team arbeiten

Als erste Berliner Schule hat die Evangelische Schule Berlin Zentrum ihre Schüler auf Reisen geschickt. Herausforderung ist an dieser Schule sogar ein Unterrichtsfach. Das Lieblingsfach der meisten Schüler, wie Schulleiterin Margret Rasfeld versichert. Ab Klasse acht gehen die Schüler in kleinen Gruppen hinaus aus Berlin und müssen über drei Wochen eine Herausforderung meistern, die sie sich selbst gestellt haben, und dabei mit 150 Euro auskommen.

 

Das Ganze wird ein halbes Jahr vorbereitet. „Das allein ist schon eine Herausforderung: Die Schüler müssen Gruppenkonflikte überwinden, im Team arbeiten, Pläne über den Haufen werfen“, sagt Rasfeld.

 

Unterrichtsfach für 8. und 9. Klasse

Auch Miriam Pech, Schulleiterin der Heinz-Brandt-Sekundarschule, ist von dem Projekt überzeugt. „Mein Traum ist es, dass die ganze Schule auf Herausforderungsreisen geht“, sagt sie. Der Mehrwert solcher Unternehmungen sei unglaublich. „Die Schüler erfahren ihre Grenzen und wachsen daran, sie schaffen Dinge, die sie sich vorher nicht zugetraut haben und am Ende sind sie stolz darauf, es durchgestanden zu haben.“

 

So war das auch bei der Radtour nach Paris – immerhin sind das rund 1200 Kilometer. 14 Schüler waren dabei. Zwei Wochen lang waren sie im August 2014 fast täglich von 8 bis 19 Uhr unterwegs, 70 bis 100 Kilometer sind sie pro Tag gefahren. Und sie haben es geschafft.

 

Wenn es nach Schulleiterin Miriam Pech geht, soll aus dem Projekt auch an ihrer Schule bald ein Unterrichtsfach werden. Neben der Alpenüberquerung seien weitere Angebote denkbar, ein Segeltörn etwa oder zwei Wochen Arbeit auf dem Bauernhof. „Wir konzipieren das neue Fach für Schüler der achten und neunten Klassen“, sagt Pech. Die seien mitten in der Pubertät, würden nörgeln, meckern, motzen und keine Lust auf Schule haben.

 

„Besonders für Kinder, die in der Schule Schwierigkeiten haben, sind solche Herausforderungen wichtig“, so die Schulleiterin. „Wenn sie erleben, dass es Dinge gibt, die sie richtig gut können, stärkt das ihr Selbstbewusstsein.“

 

Die ersten Hürden wurden gemeistert

Die Schüler der Georg-Weerth-Schule sind am Montagmorgen gestartet. Trotz der Wärme haben sie ihr Tagesziel geschafft: Sie sind 50 Kilometer mit dem Rad gefahren. Vera Plümer ist stolz auf sie. „Bisher lief alles nach Plan. Nur am Donnerstag mussten wir ein Stück mit der Bahn fahren, weil es Unwetterwarnungen gegeben hat“, sagt sie.

 

Auch Ömer ist froh, dass bisher alles gut ging. Mit seiner Mutter telefoniert er, so oft es geht. „Sie glaubt jetzt auch, dass ich es schaffe“, sagt er. Die größte Herausforderung für ihn seien aber nicht etwa die täglichen 50 Kilometer, sondern die Übernachtungen im Zelt. „Das ist mir alles nicht sauber genug“, sagt er. Am liebsten würde er im Hotel schlafen. Doch das geht natürlich nicht. Er versuche deshalb, immer wieder Ordnung zu schaffen und sauber zu machen. Ömer lacht. Den anderen sei das manchmal schon zu viel.

 

Vor der Abreise hatte Ömer befürchtet, dass es in der Gruppe Streit geben könnte. Erleichtert stellt er nun fest, das es nicht so ist. „Wir halten zusammen und versuchen, uns gegenseitig zu helfen.“ Einmal sei mitten in der Nacht ein Zelt kaputt gegangen, drei Jungs hätten von den anderen aufgenommen werden müssen. Das habe gut geklappt.

 

Vera Plümer hofft nun, das Ömer und die anderen sich an all diese Erfolge erinnern werden, wenn es im kommenden Schuljahr mal wieder Schwierigkeiten geben sollte.