Zu Fuß über die Alpen, mit dem Fahrrad von Berlin nach Paris – nach den Sommerferien warten auf rund 50 Schülerinnen und Schüler der Heinz-Brandt-Schule besondere Herausforderungen.

 

Im August 2013 hatten 16 Schülerinnen und Schüler der Berliner Heinz-Brandt-Schule die Alpen zu Fuß von Oberbayern bis nach Italien überquert. Insgesamt 120 Kilometer und bis zu 1.600 Höhenmeter an einem Tag mussten dabei gemeistert werden.

Ein über die eigentliche Erfahrung hinausweisendes Ziel dieses Pilotprojekts „Alpencross 2013“ war es, die Herausforderung als einen dauerhaften Baustein des Unterrichts zu etablieren und auszuweiten. Nun soll jedes Jahr zu einem festen Zeitpunkt mehr Schülerinnen und Schülern solch eine einzigartige Erfahrung ermöglichen. Das Projekt soll dabei thematisch ausgeweitet werden, um so verschiedene Interessen und Bedürfnisse der Jugendlichen anzusprechen.

 

Gesagt, getan: Knapp ein Jahr nach der Premiere schickt sich die Heinz-Brandt-Schule an, unter dem Motto „Herausforderung 2014“ mit gleich drei Projekten Ende August und Anfang September ihren Schülerinnen und Schülern nicht ganz alltägliche Erfahrungen zu ermöglichen. „Vergangenes Jahr haben 16 Schülerinnen und Schüler teilgenommen, in diesem Jahr sind es etwa 50 – und beim Informationsabend waren über 100“, freut sich Johannes Wießner, Soziologe und als Teach First Fellow seit knapp zwei Jahren an der Sekundarschule tätig. „Die Schülerinnen und Schüler haben sich für diese Projekte beworben“, berichtet Lehrerin Mareike Hagemann. Sie kommen aus den Jahrgangsstufen 7 und 8. „Wir hätten gerne noch mehr Jahrgangsstufen, aber das ist leider nicht möglich“, so Mareike Hagemann. Die Gruppen sind zu gleichen Teilen geschlechtergemischt.

 

Idee aus Hamburg aufgegriffen

Neben der Alpenüberquerung feiert diesmal unter dem Motto „Vom Fernsehturm zum Eiffelturm“ eine Fahrradtour von Berlin nach Paris ihre Premiere. Außerdem können die Schülerinnen und Schüler sich in einem Steinbruch bildhauerisch betätigen, mit Unterstützung einer Steinmetzin.

Das Konzept für die Herausforderungen hat man von der Hamburger Stadtteilschule Winterhude übernommen. Der Erfolg des Projekts war dort so groß, dass es zum festen Bestandteil der Schuljahresplanung wurde. Heinz-Brandt-Schulleiterin Miriam Pech, welche die Winterhuder Schule mehrmals besuchte, war von diesem Projekt so beeindruckt, dass für sie schnell feststand, dieses Angebot auch an ihrer gebundenen Ganztagsschule zu etablieren.

Die Heinz-Brandt-Schule, von über 400 Schülerinnen und Schüler besucht, arbeitet seit dem Schuljahr 2008/2009 als teilgebundene und seit dem Schuljahr 2009/10 als gebundene Ganztagsschule. An vier Tagen dauert der Schultag von 8.20 bis 16.00 Uhr, freitags bis 12.50 Uhr. Der Unterricht ist dabei in 80-Minuten-Blöcke gegliedert. In Lernbüros in Deutsch, Mathematik und Englisch können die Schülerinnen und Schüler in drei Niveaustufen individualisiert lernen. Im Themenzentrierten Unterricht finden fächerübergreifende Projekte statt, im Wahlpflichtunterricht gibt es schulprofilorientierte Angebote wie Spanisch, die Schülerfirma oder die Holz- und Metallwerkstatt. In den bewegten Pausen warten gebundene Freizeitangebote, in der betreuten Mittagsfreizeit Beschäftigungsangebote auf freiwilliger Basis. Arbeitsgemeinschaften aus Sport und kultureller Bildung ergänzen das Angebot.

In der Vorbereitung auf die diesjährige Alpenüberquerung setzten sich Mareike Hagemann, Johannes Wießner und Faina Karlitska, ebenfalls Teach First Fellow, mit den rund 15 Schülerinnen und Schülern zusammen, um die erforderlichen Kenntnisse und Kompetenzen wie Wetterkunde, Kartenlesen und Sicherheit am Berg auszutauschen. Darüber hinaus unternahm die Gruppe Probewanderungen, Fitnessübungen und Teambuilding-Maßnahmen.

 

Motto: Alles kann, nichts muss

Neben dem Erlebnisfaktor spielt das Erleben von Selbstwirksamkeit bei diesen Projekten ebenso eine Rolle wie das Spüren der eigenen Grenzen. „Mit dem Berg kann man nicht diskutieren“, formuliert es Wießner. „Die Jugendlichen spüren Erschöpfung und Stolz über das Erreichte. Vor Ort werden sie sich eigenständig versorgen und auch die jeweiligen Unterkünfte selbst organisieren. Ein Teil der Herausforderung ist es aber auch, die Zeit auszuhalten – mit sich und nichts anderem als der Natur. Da müssen wir manchmal auch motivieren, aber oft ist es eine tolle Erfahrung für die Schülerinnen und Schüler, die merken, dass sie so eine Aufgabe alleine bewältigen können.“

„Vom Fernsehturm zum Eiffelturm“ sollte die 18 Schülerinnen und Schüler noch zusätzlich dadurch motivieren, dass am Ende der Aufenthalt in Paris winkt. „So ein Zielort ist natürlich von Vorteil. Für viele Kinder ist Paris die Motivation“, erklärt Sportlehrer Jörn Langer. 1.200 Kilometer müssen auf der Nordroute, mit der die Mittelgebirge umgangen werden, bewältigt werden, das entspricht etwa 75 bis 90 Kilometern am Tag. Neben Langer werden eine Referendar, eine Lehrerin, eine Studentin und ein Schüler aus der 10. Klasse – „ein super Radfahrer“ – die Gruppe begleiten.

Morgens um sechs Uhr aufstehen, von 8.00 Uhr bis 12.30 Uhr fahren, dann eine Pause zum Beispiel in einem Freibad am Wegesrand, um dann noch einmal von 15.30 bis 19.00 Uhr bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 13 bis 15 Stundenkilometern in die Pedalen zu treten – auch hier werden die Schülerinnen und Schüler spüren, was sie geleistet haben. „Das ist natürlich eine Extrembelastung“, stellt Langer klar, „aber es soll vor allem Spaß machen, und wir werden keinen Druck ausüben. Wenn einer oder eine nicht mehr kann, dann setzen wir sie oder ihn halt in den Zug, damit sie vorausfahren. Das Motto ist: Alles kann, nichts muss.“

 

24-Stunden-Job für die Pädagogen

Der Sportlehrer hat das Unterfangen so gut wie möglich vorbereitet. Große Teile der Strecke ist er selbst abgefahren und hält dabei den Gegenwind aus westlicher Richtung für das potenziell größte Hindernis. Im Mai fand auf dem Schulhof ein großer Material-Check statt, bei denen die Fahrräder der Teilnehmerinnen und Teilnehmer einem kritischen Blick unterzogen wurden. Vor dem Start am 20. August hat die Gruppe zwei Probetouren durch das Oderbruch unternommen.

„Für die Kinder geht es darum, herauszufinden, was ihr Weg ist. Das ist eine faszinierende Erfahrung. Wenn man sie herausfordert und ihnen etwas zutraut, wachsen sie über sich hinaus“, erklärt der Sportlehrer, der im vergangenen Jahr die Alpenüberquerung mitgemacht hat. „Damals war ich die ersten vier Tage nervös, weil ich ja nicht wusste, wie wir da in den Alpen klarkommen werden, aber es hat gezeigt, was möglich ist.“ Priorität bei solchen Aktionen hat die Sicherheit, daher ist das für den Pädagogen ein 24-Stunden-Job.

Alle diese Herausforderungen sind, so die Pädagoginnen und Pädagogen, explizit geeignet, an schulische Inhalte wie Sprachen, Naturwissenschaften, Sport, Ethik, Sozialkunde anzuschließen. Zugleich sollen sie die Schülerinnen und Schüler nachhaltig in ihrer Persönlichkeitsentwicklung unterstützen und ihnen helfen, ihre Talente zu entdecken und zu entwickeln. Die Schule erhofft sich Rückkopplungseffekte auf die Qualität des Unterrichts und die Schulkultur.

 

„Jugendliche hören zu oft, was sie nicht können“

Neben den Vorbereitungsmaßnahmen sind die Schülerinnen und Schüler schon länger mit den Projekten beschäftigt, denn es ist ihre Aufgabe, das Geld für ihre Teilnahme zu verdienen. 150 Euro steuern jeweils die Eltern bei, 150 Euro müssen die Jugendlichen dazuverdienen. Das Ziel nur simpel durch Geschenke von Oma zu erreichen, ist allerdings nicht erlaubt. „Im vergangenen Jahr haben die Kinder zum Beispiel einen Lattenzaun gestrichen, Weihnachtsbäume geschmückt, Kuchen verkauft, sie zogen von einem Flohmarkt zum anderen und gewannen Outdoor-Ausstatter als Sponsoren“, berichtet Faina Karlitska.

Die Herausforderungen sorgen auch für eine weitere Vernetzung mit der Berliner Wirtschaft: Bei zwei Unternehmen können die Jugendlichen einmal die Woche regelmäßig mitarbeiten – „die Firmen finden das super“, so Mareike Hagemann. „Die Jugendliche hören doch viel zu oft, was sie angeblich alles nicht können. Uns liegt es besonders am Herzen, dem etwas entgegenzusetzen. Sie sollen merken, was in ihnen steckt und darüber nachdenken, was sie alles schaffen können, wenn sie wollen. Diesen Prozess mitzuerleben ist einfach wunderbar“, findet Johannes Wießner.